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Deutschland braucht Investitionen von 600 Milliarden Euro

Modern und wettbewerbsfähig statt marode und teuer: Will Deutschland diesen Status erreichen, braucht es weitreichende Investitionen. Rund 600 Milliarden Euro sind über die kommenden zehn Jahre nötig, wie das IW zusammen mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung berechnet hat.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland für die kommenden zehn Jahre beträgt rund 600 Milliarden Euro – das haben das IW und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung berechnet.
  • Aufbringen ließe sich das Geld über eine höhere Neuverschuldung. Diese wäre mit den Maastricht-Kriterien vereinbar.
  • Eine andere Möglichkeit wäre ein Infrastrukturfonds, der wie ein Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgenommen ist. Alternativ wäre eine „Goldene Regel“ denkbar.
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Bröckelnde Straßen, Brücken und Schienen, veraltete Wohn- und Schulgebäude, fehlende Infrastruktur für Strom, Wasserstoff und Wärme: Bundesweit gibt es massenhaft Investitionsbedarf. Gleichzeitig ist die Wirtschaft mitten in der Rezession und die Aussichten für 2024 sind trüb (siehe "Der Konjunkturaufschwung kommt nicht von allein").

Die Bundesregierung muss daher dringend handeln. Schließlich hat der Staat auf dem Weg aus der Krise eine absolute Schlüsselrolle: Er kann – und muss – mit eigenen Investitionen privatwirtschaftliches Engagement anstoßen, Investitionen fördern und öffentliche Güter wie Bildungseinrichtungen und Verkehrsinfrastruktur modernisieren, sodass Deutschland auch in Zukunft ein attraktiver und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort bleibt.

600 Milliarden Euro Investitionsbedarf

Wie hoch der Investitionsbedarf tatsächlich ist, haben das Institut der deutschen Wirtschaft und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung berechnet (Grafik):

Der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland für die kommenden zehn Jahre beträgt rund 600 Milliarden Euro.

Geschätzter Investitionsbedarf in Deutschland für den Zeitraum von 2025 bis 2034 in Milliarden Euro Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das sind noch mal 140 Milliarden Euro mehr als bei der letzten Berechnung der beiden Institute im Jahr 2019. Seitdem sind die Baupreise um fast 40 Prozent gestiegen und der Investitionsdruck hat zugenommen, auch durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbundenen Wegfall des russischen Pipeline-Erdgases als kostengünstige Brückentechnologie.

Allein rund ein Drittel der Summe muss die Regierung investieren, um die Dekarbonisierung voranzutreiben und klimaneutral zu werden. Der größte Einzelposten in diesem Bereich ist die energetische Gebäudesanierung. Weitere wichtige Aufgaben sind der Netzausbau für Strom, Wasserstoff und Wärme, die Förderung von Energieeffizienz und Innovationen sowie der Ausbau von erneuerbaren Energien. Hinzu kommen 13,2 Milliarden Euro für Klimaanpassungen. Das sind Investitionen, die den Kommunen helfen, sich vor extremem Wetter wie Starkregen oder Hitze zu schützen.

Weitere 177 Milliarden Euro – der zweitgrößte Posten – sind nötig, um den Sanierungsstau in den Städten und Gemeinden aufzuholen. So sind viele Schulen marode und Straßen teils kaum befahrbar.

127,5 Milliarden Euro braucht es für Verkehrswege und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV): Mit 60 Milliarden Euro lässt sich das Schienennetz, für weitere 28,5 Milliarden der ÖPNV modernisieren und erweitern. Um die Fernstraßen auf Vordermann zu bringen, sind 39 Milliarden Euro notwendig.

Für die Modernisierung der Bildungsinfrastruktur veranschlagt die Studie 41,4 Milliarden Euro. Davon entfallen 6,7 Milliarden Euro auf den Ausbau von Ganztagsschulen, mit weiteren 34,7 Milliarden Euro müssten die Hochschulen saniert werden.

Um den zunehmenden Wohnungsmangel zu mildern, muss die Bundesregierung zudem stärker in den sozialen Wohnungsbau investieren. Ihr Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr hat sie zuletzt deutlich verfehlt (siehe "Sozialwohnungen: Bauen im Blindflug"). Um diese Zielmarke wieder zu erreichen, sind 36,8 Milliarden Euro nötig.

Der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland für die kommenden zehn Jahre beträgt rund 600 Milliarden Euro.

Insgesamt sind die geschätzten 600 Milliarden Euro eher eine Untergrenze des Investitionsbedarfs der kommenden zehn Jahre. So sind beispielsweise Investitionen für die Verteidigung oder in die Gesundheitsinfrastruktur nicht in der Rechnung enthalten.

Höhere Neuverschuldung tragbar

Bleibt die Frage, woher das Geld kommen soll. Ausgaben von 60 Milliarden Euro pro Jahr würden rund 1,4 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen – die Schuldenbremse erlaubt aktuell eine jährliche Neuverschuldung von 0,35 Prozent. Doch auch mit einer höheren Kreditaufnahme würde sich Deutschland an die im Maastricht-Vertrag für alle Euroländer festgelegte Obergrenze der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote von 60 Prozent annähern, wie IW-Berechnungen zeigen (Grafik):

Selbst mit einer jährlichen Neuverschuldung von 1,5 Prozent des BIP würde die Schuldenstandsquote in Deutschland von 66 Prozent im Jahr 2022 bis 2030 auf 61 Prozent sinken.

Staatsverschuldung in Deutschland in Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei einer jährlichen Neuverschuldung in dieser Höhe Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Mit einer jährlichen Neuverschuldung von 1,8 Prozent bliebe die Schuldenstandsquote immerhin konstant.

Grundsätzlich wäre also eine Reform der Schuldenbremse wünschenswert, um das nötige Geld bereitzustellen (siehe "Schuldenbremse: Flexiblere Regelungen möglich"). Da dies ein längerer Prozess wäre, Deutschland aber dringend investieren muss, sind Alternativen gefragt.

Eine Möglichkeit wäre ein Infrastrukturfonds, der wie ein Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgenommen ist. Alternativ wäre eine „Goldene Regel“ denkbar, die als Zusatz zur Schuldenbremse formuliert würde und es dem Staat erlaubt, Kredite im Umfang der Investitionen aufzunehmen.

Damit das verfügbare Geld auch ausgegeben werden kann, braucht es ergänzend ein Planungsbeschleunigungsgesetz für die öffentlichen Investitionen, wie es die Bundesregierung zum Beispiel bereits beim kurzfristig benötigten Aufbau von LNG-Terminals verabschiedet hat.

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