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Immer mehr Stimmen für euroskeptische Parteien

Europawahlen werden stark von den nationalen und regionalen Unterschieden der 27 EU-Mitgliedsstaaten geprägt. Je nach Land wird etwa das Thema Migration unterschiedlich in der politischen Diskussion behandelt. Solche länderspezifischen Faktoren oder die Popularität der jeweiligen Regierungen beeinflussen das Wahlverhalten bei jeder Europawahl aufs Neue.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Wahlbeteiligung wird durch die jeweilige politische Kultur, die in den einzelnen Ländern gerade diskutierten Themen und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten beeinflusst.
  • Bei der Europawahl 2019 war die Wahlbeteiligung in den älteren Mitgliedsstaaten im Mittel deutlich höher als in den jüngeren.
  • Euroskeptische Parteien konnten in Regionen mit einer höheren Arbeitslosenquote und einer großen Gruppe von Nichtwählern Stimmenzuwächse verzeichnen.
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Jede Stimme zählt – auch bei der Europawahl, die in diesem Frühsommer wieder stattfindet. Wissenschaftler klassifizieren die Europawahl allerdings als eine Wahl zweiter Ordnung, für die vielerorts ein geringeres Interesse besteht als für nationale Wahlen. Die Wahlbeteiligung wird zusätzlich durch die jeweilige politische Kultur, die in den einzelnen Ländern gerade diskutierten Themen und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten beeinflusst.

Je mehr Menschen in einer Region leben, umso mehr Wahlberechtigte nehmen an einer Wahl teil.

Vergleicht man die postsowjetischen Mitgliedsstaaten in Mittel- und Osteuropa, die in den vergangenen 20 Jahren der EU beigetreten sind, mit den EU-Mitgliedern aus Nord-, Süd- und Westeuropa, zeigt sich ein klares Gefälle: Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2019 war in den älteren Mitgliedsstaaten im Mittel deutlich höher als in den jüngeren (Grafik):

Im Schnitt gaben 2019 in den Regionen der nord-, süd- und westeuropäischen Mitgliedsstaaten fast 57 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, in den mittel- und südeuropäischen Ländern fiel die Wahlbeteiligung mit knapp 41 Prozent deutlich niedriger aus.

So viel Prozent der Wahlberechtigten haben in diesen Regionen der EU ihre Stimme abgegeben Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Darüber hinaus zeigen die Daten aber auch einen positiven Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsdichte und dem Wahlverhalten: Je mehr Menschen in einer Region leben, umso mehr Wahlberechtigte nehmen an einer Wahl teil.

Hauptstädte sind Wahlhochburgen

Hinzu kommt: In den dicht besiedelten europäischen Hauptstadtregionen befinden sich viele Unternehmenszentralen und wissenschaftliche Einrichtungen. Die dort vorherrschenden Einstellungen und Werte sind liberaler als in den traditionell konservativeren ländlichen Regionen. Gerade in Osteuropa, wo die Hauptstädte teilweise mehr als dreimal so wirtschaftsstark sind wie der ländliche Raum, gingen in den Metropolen 2019 überdurchschnittlich viele Menschen zur Wahl.

Ein Beispiel: In der polnischen Hauptstadt Warschau hat sich seit Polens erster Europawahl-Teilnahme 2004 die Wahlbeteiligung von 30 auf zuletzt 60 Prozent verdoppelt. In den anderen Regionen Polens gaben 2019 teils nicht mal 40 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Zudem verzeichnete Warschau als einzige Region in Mittel- und Osteuropa eine höhere Wahlbeteiligung als der Schnitt der alten EU-Länder.

Schlusslichter in puncto Wahlbeteiligung in Mittel- und Osteuropa waren einige ländliche Regionen der Slowakei. Dort lag sie im Jahr 2019 nur zwischen 10 und 20 Prozent. In Nord-, Süd- und Westeuropa verzeichneten 2019 vor allem portugiesische Regionen wie die Algarve die geringste Wahlbeteiligung. Dort stimmten nur 25 bis 35 Prozent der Wahlberechtigten über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ab.

Europaweit am höchsten war der Stimmenanteil 2019 mit fast 85 Prozent in einigen Regionen Belgiens und Luxemburgs. Allerdings besteht in diesen Mitgliedsstaaten – wie auch in Bulgarien und Griechenland – Wahlpflicht. Zudem fanden 2019 in Belgien zeitgleich zur Europawahl nationale Wahlen statt – auch das führte dazu, dass mehr Menschen abstimmten.

Euroskepsis wächst

Grundsätzlich beeinflusst die (Un-)Zufriedenheit mit dem politischen System das Wahlverhalten maßgeblich: Sind Menschen gefrustet, gehen sie entweder gar nicht zur Wahl oder sie wählen extreme Parteien, die sich oft auch europafeindlich geben:

Bei der Europawahl im Jahr 2019 wurde im Schnitt aller Regionen in der EU mehr als jede fünfte Stimme für eine euroskeptische Partei abgegeben.

In Zeiten der EU-Staatsschuldenkrise waren es vor allem linke Parteien in Südeuropa, die vom Unmut der Wähler über den von der EU auferlegten Sparkurs profitierten. Inzwischen finden sich euroskeptische Parteien zunehmend im rechten politischen Spektrum. Die größten Stimmenzuwächse für die europakritischen Parteien gab es 2019 in Griechenland, Italien, Polen und Ungarn.

In Deutschland zeigt sich die zunehmende Euroskepsis insbesondere in Ostdeutschland – eine Ausnahme bildet Berlin – am Erstarken der AfD. Sie konnte ihre Ergebnisse stark steigern: Bei der Europawahl 2019 stimmten beispielsweise im Regierungsbezirk Dresden bereits 28 Prozent der Wahlberechtigten für diese Partei.

Stimmenzuwächse konnten euroskeptische Parteien insbesondere in Regionen mit höheren Arbeitslosenquoten und einer großen Gruppe von Nichtwählern gewinnen. Am wenigsten Zustimmung erzielten sie dagegen europaweit in den Hauptstädten.

Das zunehmende politische Auseinanderdriften der städtischen und ländlichen Regionen sowie die Bedeutung des Themas Migration können als Vorzeichen für die diesjährige Europawahl gesehen werden: Vieles deutet darauf hin, dass euroskeptische Parteien des rechten Lagers einen weiteren Stimmenzuwachs erzielen werden.

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