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Kommentar: „Das bisherige Geschäftsmodell der Automobilindustrie steht infrage“

Die deutsche Automobilindustrie steht unter Druck. Lange konnte sie die Produktion am heimischen Standort trotz hoher Kosten halten. Dies wird jedoch aus verschiedenen Gründen immer schwieriger. Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im Institut der deutschen Wirtschaft, erklärt, wie sich gegensteuern ließe.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die deutsche Automobilindustrie steht unter Druck. Das Läuten der Totenglocken hält Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im Institut der deutschen Wirtschaft, jedoch für übertrieben.
  • Damit die deutschen Kfz-Hersteller ihre führende Marktposition im Premiumsegment verteidigen können, sei es wichtig, die Technologieführerschaft im elektrischen Antriebsstrang zu haben.
  • Neben der Abwehr von protektionistischen Eingriffen in den internationalen Handel mit Fahrzeugen hält Puls den zügigen Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur für essenziell.
Zur detaillierten Fassung

Zahlreiche Stellen sollen wegfallen, Werksschließungen drohen – die Automobilindustrie in Deutschland sorgt gerade für viel unerfreulichen Gesprächsstoff. Das Läuten der Totenglocken ist zwar mehr als übertrieben. Klar ist jedoch: Die bevorstehenden Veränderungen werden den Standort Deutschland etwas kosten.

Die Zukunft der Pkw-Produktion am Standort Deutschland entscheidet sich auf den Exportmärkten. Die Abwehr von protektionistischen Eingriffen in den Handel mit Fahrzeugen ist daher eine wichtige Aufgabe.

Grundlage für die Weltmarkterfolge der deutschen Automobilindustrie in den vergangenen Jahren – vor allem seit der Jahrtausendwende – war das besondere Geschäftsmodell. Es basierte zum einen auf der aktiven Globalisierung von Produktion und Absatz und zum anderen auf der Dominanz im Premiumsegment. Dies ermöglichte es, hochpreisige Fahrzeuge in Deutschland für den Weltmarkt zu fertigen und zu exportieren. So wurden im Jahr 2023 gut 75 Prozent der in Deutschland gebauten Autos exportiert, davon etwa 40 Prozent interkontinental. Letzteres ist besonders wichtig, da der europäische Pkw-Markt seit 2019 um etwa 20 Prozent geschrumpft ist.

Thomas Puls ist Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur im IW; Foto: IW Medien Doch die Entwicklung geht weiter und das einst so erfolgreiche Geschäftsmodell ist unter Druck geraten. Ein Haupttreiber ist der laufende Technologiewandel hin zum elektrifizierten Antriebsstrang. Zwar ist Deutschland nach China der größte Produktionsstandort für Elektroautos, aber der Technologiewandel hat die Tür für neue Wettbewerber geöffnet. Diese haben ihre Wurzeln typischerweise in der Elektroindustrie, was ihnen Vorteile bei der Beherrschung des elektrifizierten Antriebsstrangs bietet.

Deutschland muss beim Antriebsstrang technologisch führend sein

Technologieführerschaft gerade im Antriebsstrang ist aber wichtig, wenn die Marktführerschaft im Premiumsegment verteidigt werden soll. Und wenn diese verloren geht, wird sich auch der für den Standort Deutschland so wichtige interkontinentale Export nicht aufrechterhalten lassen. Für margenschwache Fahrzeuge ist der Transport nach Amerika oder Asien viel zu aufwendig und der Standort Deutschland schlicht zu teuer. Wie sehr die Folgen der Transformation am Standort Deutschland spürbar werden, hängt somit an der Frage, ob das bisher erfolgreiche Geschäftsmodell weitergeführt werden kann.

Die deutsche Politik sollte tätig werden, um den Wandel zu unterstützen, und den Unternehmen helfen, das bisherige Geschäftsmodell weiter praktizieren zu können. Die Zukunft der Pkw-Produktion am Standort Deutschland entscheidet sich auf den Exportmärkten. Die Abwehr von protektionistischen Eingriffen in den Handel mit Fahrzeugen ist daher eine wichtige Aufgabe.

Der heimische Produktionsstandort weist viele Nachteile auf

Hinzu kommen Fragen der allgemeinen Standortpolitik. Dank der Premiumstrategie konnte die Kfz-Produktion am heimischen Standort lange trotz hoher Kosten gehalten werden. Das ist immer schwieriger geworden: Hohe Energiekosten und lähmende Genehmigungsverfahren können kaum mehr kompensiert werden.

Wenn die Politik nicht nur die Produktion, sondern auch den Absatz von Elektrofahrzeugen in Deutschland fördern will, ist der zügige Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur von entscheidender Bedeutung. Und das ist ein Mammutprojekt: Gemessen an der benötigten Anschlussleistung braucht man für den erforderlichen Ausbau der Ladepunkte in Deutschland so viel Strom, dass man – wenn alle neuen Ladepunkte gleichzeitig in Betrieb sind – damit 350 Kleinstädte versorgen könnte.

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