Strategische Autonomie Lesezeit 4 Min.

Mit System gegen die Abhängigkeit von China

Die deutsche Wirtschaft soll bei bestimmten Gütern weniger abhängig von Importen aus Ländern wie China werden. Die Frage ist allerdings, ob und inwieweit der Staat eingreifen sollte, um das Ziel der strategischen Autonomie zu erreichen. Das IW hat hierzu ein Prüfschema entwickelt.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Abbau sogenannter kritischer Abhängigkeiten von Ländern wie China steht seit einiger Zeit auf der Agenda der deutschen Wirtschaftspolitik.
  • Das IW hat hierzu ein Prüfraster mit sechs Kriterien entwickelt, um den Abbau von Importabhängigkeiten so (kosten)effizient wie möglich zu gestalten.
  • Generell sollten staatliche Eingriffe dabei so gering wie möglich bleiben und Subventionen nur das letzte Mittel der Wahl sein.
Zur detaillierten Fassung

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit all seinen Folgen steht der Abbau sogenannter kritischer Abhängigkeiten auf der Agenda der deutschen Wirtschaftspolitik. Es geht darum zu vermeiden, dass bei einem geopolitischen Konflikt plötzlich Importgüter fehlen, die etwa für die medizinische Versorgung der Bevölkerung, für funktionierende Lieferketten oder den Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft unverzichtbar sind. Oft kommen solche kurzfristig nicht oder nur eingeschränkt ersetzbaren Güter derzeit aus China.

Das Problem: Aufgrund seiner aktiven Industriepolitik bietet China bei vielen für die Klimawende benötigten Produkte – dazu gehören zum Beispiel Solarmodule – das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Aus rein marktwirtschaftlicher Sicht wäre es daher für Unternehmen oft sinnvoll, sich weiterhin auf chinesische Importe zu fokussieren. Soll die Abhängigkeit von China dennoch sinken, stellt sich die Frage, ob der Staat eingreifen sollte. Dabei wird oft der Ruf nach Subventionen laut – etwa um Unternehmen dazu zu bewegen, die Fertigung bestimmter Güter (wieder) von Asien nach Deutschland oder in die EU zu verlagern.

Weil Subventionen sehr teuer und wettbewerbsverzerrend sind, sollten sie für den Staat nur das letzte Mittel der Wahl sein.

Zu fragen ist allerdings, wie sinnvoll solche Maßnahmen sind – nicht zuletzt angesichts knapper staatlicher Gelder. Das IW hat deshalb ein Prüfraster entwickelt, um den Abbau kritischer Abhängigkeiten so (kosten)effizient wie möglich gestalten zu können. Das Prüfschema legt dabei sechs Kriterien an:

Kriterium 1

Ist das Produkt unverzichtbar und kurzfristig schwer ersetzbar?

Zuallererst ist demnach zu prüfen, ob überhaupt ein relevanter gesamtwirtschaftlicher Schaden droht, wenn das Produkt nicht mehr verfügbar ist. Falls nein, braucht es keinen Staatseingriff. Falls doch, folgt der nächste Prüfschritt.

Kriterium 2

Bestehen bei der Produktion des Gutes langfristig komparative Vorteile hierzulande?

Solche komparativen Vorteile dürften tendenziell dann vorliegen, wenn die Fertigung des Gutes technologisch anspruchsvoll und nicht leicht zu standardisieren ist. Dann kann Deutschland – wie auch ähnliche EU-Länder – seine Stärken gegenüber Schwellenländern ausspielen, wie zum Beispiel die hohe Produktivität, gut ausbildete Arbeitskräfte und eine hohe Innovationsfähigkeit. Ist dies beim untersuchten Produkt nicht gegeben, folgt die nächste Prüfphase gemäß Kriterium 4. Anderenfalls:

Kriterium 3

Wird das Produkt trotz komparativer Vorteile nicht in der EU hergestellt?

Trifft dies zu, sind die Gründe zu untersuchen. Bei Halbleitern beispielsweise dürfte ein Subventionswettlauf dazu geführt haben, dass die Produktion größtenteils nach Asien abgewandert ist. Es folgt auch hier der nächste Prüfschritt:

Kriterium 4

Ist ein diversifiziertes Friendshoring sinnvoll und machbar?

Hier geht es darum zu prüfen, ob es zumindest mittelfristig möglich ist, eine hinreichend große Zahl neuer Lieferanten in anderen Ländern als China zu finden. Als „Freunde“ kommen dabei all jene Staaten infrage, die die EU auch im Falle eines geopolitischen Konflikts mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter beliefern würden. Besteht eine solche Option unmittelbar, ist kein Eingreifen des Staates erforderlich. Ist Friendshoring generell nicht machbar oder ist die Fertigung in anderen Schwellenländern ohne staatliches Eingreifen nicht wettbewerbsfähig gegenüber subventionierten chinesischen Produkten, folgt die nächste Prüfphase:

Kriterium 5

Wie stark soll der Staat eingreifen und mit welchen Instrumenten?

Eine staatliche Intervention ins Marktgeschehen sollte stets der Maxime „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ folgen. Deshalb gilt es, das Instrument mit der geringstmöglichen Interventionstiefe zu wählen.

Reichen beispielsweise neue Freihandelsabkommen aus, um weitere Lieferanten für ein Produkt zu gewinnen? Soll der Staat den Unternehmen Vorgaben zur Lagerhaltung bei bestimmten Gütern machen? Sind Herstellungsstandards wie Umweltschutzvorgaben für die relevanten Importe der richtige Weg? Letztlich geht es darum zu prüfen, welche Maßnahme mit Blick auf ihre Schutzwirkung für die hiesigen Unternehmen, aber auch hinsichtlich der Kosten am besten geeignet ist. Weil Subventionen sehr teuer und wettbewerbsverzerrend sind, sollten sie für den Staat nur das letzte Mittel der Wahl sein. Fällt das Prüfergebnis dennoch zugunsten von Subventionen aus, bleibt der letzte Schritt:

Kriterium 6

In welchem Ausmaß sind Subventionen angemessen?

Staatliche Subventionen sollten mehr Nutzen bieten als Kosten beziehungsweise Schäden verursachen. So gilt es zu vermeiden, dass die Subventionsvergabe anderen als ökonomischen Maßstäben folgt.

Beispiel Solarindustrie

Wendet man dieses Schema beispielhaft auf die Solarindustrie an, zeigt sich, dass die hohe Importabhängigkeit von China nur wenig kritisch ist. Denn der gesamtwirtschaftliche Schaden, der droht, wenn China keine Solarmodule mehr liefert, ist begrenzt – schließlich würden die auf hiesigen Dächern bereits installierte Solaranlagen weiterhin Energie liefern. Da sich Solarmodule hierzulande aufgrund relativ hoher Energie- und Fertigungskosten nur unverhältnismäßig teuer herstellen lassen, wären sehr hohe Subventionen für die Produktion in Deutschland erforderlich.

Es ist deshalb ratsam, Solarmodule weiterhin kostengünstig aus China zu beziehen – zumal die Erlöse daraus für chinesische Unternehmen so bedeutsam sind, dass Peking hier vermutlich keine Exportrestriktionen in Erwägung ziehen dürfte.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene