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Schuldenbremse: Neue Regeln, neue Chancen

Schon seit Längerem sprechen sich Ökonomen für eine Reform der Schuldenbremse in Deutschland aus. Das IW hat nun drei Alternativen konzipiert, die die Kritikpunkte an der jetzigen Regelung aufgreifen. Generell bekäme die Politik mit den neuen Fiskalregeln mehr Spielraum – etwa um dringend benötigte Investitionen zu finanzieren.

Kernaussagen in Kürze:
  • Die Schuldenbremse in Deutschland ist reformbedürftig – das IW hat nun drei konkrete Reformoptionen vorgelegt.
  • Gemeinsam ist den Vorschlägen, dass sie dem Bund mehr Spielraum verschaffen, um beispielsweise Investitionen in die Infrastruktur oder eine mehrstufige Steuerreform finanzieren zu können.
  • Neben einer solchen Reform braucht es auch den Willen der Politik, Planungsvorschriften und Verwaltungsverfahren zu vereinfachen.
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0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – dies ist die knapp bemessene Obergrenze für die jährliche strukturelle Neuverschuldung, die die Schuldenbremse dem Bund zugesteht. Die Bundesländer dürfen strukturell gar keine neuen Schulden aufnehmen. Dabei sind in den kommenden zehn Jahren rund 600 Milliarden Euro an Investitionen erforderlich, um den Standort Deutschland zu modernisieren und klimaneutral umzubauen (siehe "Deutschland braucht Investitionen von 600 Milliarden Euro"). Auch eine größere Steuerreform, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig stärken würde, ist mit der heutigen Schuldenbremse kaum zu finanzieren.

Eine reformierte Schuldenbremse sollte die dringend benötigten Wachstumsimpulse und den investitionsintensiven Übergang zur Klimaneutralität ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund kritisieren viele Ökonomen die derzeitigen Fiskalregeln schon länger. Dabei geht es nicht darum, die Politik von jeglicher Ausgabendisziplin zu entbinden – die Staatsfinanzen müssen in jedem Fall langfristig tragfähig bleiben. Eine reformierte Schuldenbremse sollte aber die dringend benötigten Wachstumsimpulse und den investitionsintensiven Übergang zur Klimaneutralität ermöglichen. Zudem sollte sie besser mit akuten Krisen umgehen können – zuletzt blieb der Politik in der Coronapandemie nur der Ausweg, eine Notlage zu erklären und die Schuldenbremse auszusetzen.

Das IW hat nun drei Optionen für eine solche Reform erarbeitet – mit jeweils unterschiedlichem Fokus:

  1. Nettoinvestitionsregel. Dieser Reformvorschlag zielt vor allem darauf ab, den Standort Deutschland zukunftsfit zu machen. Kernprinzip ist, dass der Staat neue Schulden ausschließlich aufnehmen darf, um Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren – also beispielsweise, um neue Energie- und Verkehrsnetze anzulegen, Schulen zu bauen oder die IT-Infrastruktur auf den neuesten Stand zu bringen. Über die genaue Abgrenzung einer Investition mag die Politik streiten – entscheidend ist am Ende, dass es um zukunftswirksame Ausgaben geht.

Mit der vom IW vorgeschlagenen Nettoinvestitionsregel hätten sich die Investitionen des Bundes in den vergangenen Jahren in etwa verzehnfachen können.

Um die Auswirkungen dieser reformierten Schuldenregel zu modellieren, wird angenommen, dass damit jährliche Nettoinvestitionen in Höhe von 1 Prozent des BIP zulässig wären. Das entspräche einem Spielraum von insgesamt etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr – was dem tatsächlichen Investitionsbedarf zumindest nahekommt. Ein Blick zurück verdeutlicht die Tragweite dieses Reformvorschlags (Grafik):

Wäre es dem Bund bereits seit 2007 laut Schuldenregel gestattet gewesen, jährlich bis zu 1 Prozent des BIP netto zu investieren, hätten sich die realisierten Investitionen in etwa verzehnfachen können.

Nettoinvestitionen des Bundes und zusätzlicher Spielraum durch eine reformierte Schuldenbremse, in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Schuldenstand des Bundes dadurch gestiegen wäre. Eine Ausnutzung des Investitionsspielraums allein ab 2019 hätte bis 2024 einen Anstieg der Bundesschulden auf knapp 49 Prozent des BIP bedeutet – gut 5 Prozentpunkte mehr als der tatsächliche Wert.

  1. Atmende Schuldenregel. Mit einem zweiten Reformvorschlag greift das IW die Kritik auf, dass die derzeitige Schuldenbremse zu starr und nicht krisenfest sei.

Eine atmende Schuldenregel würde die Konjunkturkomponente der derzeitigen Schuldenbremse wie folgt weiterentwickeln: Weicht das Wirtschaftswachstum vom langfristigen Pfad nach unten ab, erhöht sich automatisch der Verschuldungsspielraum (und umgekehrt). Die reformierte Regel würde dann auch aufzeigen, wie das vorübergehend erhöhte Defizit des Staates nach Überwindung der Krise wieder zurückzuführen wäre. Zudem berücksichtigt die atmende Schuldenregel die staatlichen Zinsausgaben: Sinken diese, vergrößert sich der Verschuldungsspielraum – steigt die Zinsbelastung im Haushalt, muss der Staat die Neuverschuldung stärker begrenzen.

Eine Simulation für die zurückliegenden Jahre zeigt den Effekt dieser Reformvariante (Grafik):

Die atmende Schuldenregel hätte der Politik in den 2010er Jahren – nach Überwindung der Finanzkrise – ein Finanzierungsdefizit von teils mehr als 2 Prozent des BIP erlaubt, sodass eine Investitionsoffensive oder Steuersenkungen finanzierbar gewesen wären.

Tatsächlicher Finanzierungssaldo bzw. zulässiger Finanzierungssaldo bei einer atmenden Schuldenregel, Angaben für den Bund in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zugleich gewährleistet die Regel, dass sich die Staatsschulden nach einer Krisenphase wieder stabilisieren. Hätte sie ab 2019 gegolten, wäre der Schuldenstand des Bundes während der Coronapandemie zwar etwas stärker gestiegen, als es tatsächlich der Fall war. Bis heute hätte sich die Schuldenquote aber wieder dem De-facto-Wert von etwa 42 Prozent angenähert.

  1. Ausgabenregel. Der dritte Reformvorschlag – für den die Schweizer Schuldenbremse als Ausgangspunkt diente – sieht im Kern vor, dass die Staatsausgaben so stark wachsen dürfen wie die nominale Wirtschaftsleistung. Die Einnahmeseite würde dagegen flexibler gehandhabt.

So wäre es zum Beispiel zulässig, eine durch Steuersenkungen verursachte Einnahmenlücke erst im Laufe der folgenden zehn Jahre auszugleichen – sei es, indem ein durch die reduzierten Steuersätze angekurbeltes Wirtschaftswachstum die Steuereinnahmen wieder steigen lässt, sei es durch Haushaltskonsolidierungen. Auf jeden Fall würde die Ausgabenregel es ermöglichen, auch in schwächeren Konjunkturphasen über Steuersenkungen für Wachstumsimpulse zu sorgen.

Es braucht auch weniger Bürokratie

Welches Reformmodell am Ende eine Chance hat, politisch umgesetzt zu werden, bleibt abzuwarten. Auch eine Kombination der drei Vorschläge wäre denkbar. Am Ende kommt es ohnehin neben dem Reformwillen auch darauf an, ob die Politik in der Lage ist, bestehende Planungsverfahren und Verwaltungsvorschriften – zum Beispiel jene für die Genehmigung von Windenergieanlagen – zu vereinfachen, damit ein vergrößerter Spielraum für Investitionen auch tatsächlich effizient genutzt wird.

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